Big History als Erzählung oder auch Big History Narrativ (engl. narrative)
Bei dem Wort Erzählung denkt man zuerst sicherlich an eine erfundene, fiktive Geschichte. Die Form der Erzählung aber lässt sich auch nutzen, um vergangene Ereignisse zu rekonstruieren. Big History ist genau so eine Erzählung.
In Big History nun geht es darum Ereignisse der Vergangenheit in einer in sich stimmigen Geschichte miteinander zu verbinden, auch jene, die sich ereignet haben, lange bevor Menschen darüber berichten konnten. Damit dies vom Umfang her machbar ist, muss sich Big History auf das Wesentlichste konzentrieren, und das Wesentlichste für alle Arten von Wissenschaftlern (von Naturwissenschaften bis Sozial- und Geisteswissenschaften) ist es, den Ereignissen zugrunde liegende Muster* zu finden sowie die Beziehungen zwischen Ereignissen und Erscheinungen zu erforschen. Weiterhin sollte an dieser Stelle klar werden, dass sich Big History Forscher nicht nur auf menschliche Augenzeugenberichte verlassen können. Das Ziel hierbei ist, die Natur des Universums zu verstehen und welchen Platz der Mensch darin einnimmt. In anderen Worten, die großen Fragen zu stellen, für deren Beantwortung bisher zumeist Philosophie und Religion für zuständig erachtet wurden und die Erkenntnisse der Wissenschaft zu deren Beantwortung zu nutzen.
Woher kommen wir, was ist Leben, was ist der Mensch, wohin gehen wir?
Wie ist Big History entstanden?
David Christian, ein Historiker für russische Geschichte, hat den Begriff Big History geprägt, als er Anfang der 1990er Jahre den Kurs beschrieb, den er mit Kollegen an der Macquarie University in Sydney kurze Zeit zuvor ins Leben gerufen hat, und seitdem wird er verwendet. Big History unterscheidet sich ja gerade dadurch von traditioneller Geschichtsschreibung (history), dass hier auch die Ereignisse seit Beginn des Universums mit betrachtet werden. Schon in früheren Zeiten, hatten Menschen die Idee, eine Geschichte des gesamten Kosmos zu schreiben. Für uns in Deutschland ist hier Alexander von Humboldt zu nennen.
Wikipedia-Artikel: Kosmos (Humboldt) “Der Kosmos – Entwurf einer physischen Weltbeschreibung ist ein fünfbändiges Werk des deutschen Universalgelehrten Alexander von Humboldt, in welchem er dem Leser eine Gesamtschau der wissenschaftlichen Welterforschung zu vermitteln suchte, „die Erscheinung der körperlichen Dinge in ihrem Zusammenhange, die Natur als durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes“. Die Bände erschienen 1845 bis 1862. Der fünfte und letzte Band ist Fragment geblieben und wurde erst postum veröffentlicht.” Die Webseite avhumboldt.de bietet alle Bände des Kosmos zur Einsicht und zum Download.
Fred Spier, den wir im Zusammenhang mit einer Big History Theorie kennenlernen werden, würdigt Alexander von Humboldt daher als einen der ersten Big History Forscher (big historian). Was Humboldt im 19. Jahrhundert noch fehlte, waren konkrete Daten für diese Art von Weltbeschreibung, die wir dank moderner Datierungstechniken, wie radiometrische und genetische, seit den 1950er Jahren zur Verfügung haben. In den 100 Jahren nachdem Alexander von Humboldt begonnen hatte, seinen Kosmos zu verfassen, hat sich Wissenschaft zunehmend spezialisiert und beachtlich viel Wissen hervorgebracht. Auch die Geschichtswissenschaft wollte eine seriöse Wissenschaft sein und war so gezwungen, sich auf den Teil der Geschichte zu beschränken, die durch historische Quellen, also schriftliche Überlieferungen belegt war. Darüber gab man einstweilen große Projekte, wie von Humboldts Kosmos auf, die jetzt jedoch wieder aufgenommen werden können.
Nun waren der Historiker David Christian und der Biochemiker, Kulturanthropologe und Sozialhistoriker Fred Spier nicht die einzigen Wissenschaftler, die in diesen Größenordnungen dachte. Nachdem das Internet in Gang gekommen war und man mit ein paar Klicks Bücher von anderen Teilen der Welt sehen und auch bestellen konnte, entdeckte Fred Spier, dass der Astrophysiker Eric Chaisson in den USA ein ganz ähnliches Ziel verfolgte und es Cosmic Evolution (Dt. Kosmische Evolution) nannte. Aus naturwissenschaftlicher Sicht mag die Menschheitsgeschichte nicht so eine große Rolle spielen. Jedoch basiert auch Big History im wesentlichen auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Bemerkenswert ist, dass Wissenschaftler verschiedener Disziplinen im Grunde versucht haben Antworten auf dieselben Fragen zu finden.
Zur Strukturierung von Big History lässt sich ganz grob erst einmal folgendes sagen:
Dieses Hinein-Zoomen macht deutlich, dass es nicht zu vermeiden ist, dass Big History sehr auf den Menschen bezogen, also anthropozentrisch ist. Es fehlt uns eben der unmittelbare Zugang zu anderen Teilen des Universums, um dieses von einem anderen Ausgangspunkt als den unsrigen (von Planet Erde aus) zu betrachten. Ganz wichtig ist auch, im Hinterkopf zu behalten, dass die Geschichte Lücken hat, schon allein dadurch, dass wir beständig in immer kleinere Bereiche des Universums hineinzoomen. Damit beschränken wir uns gewaltig. Dazu kommt dann noch, dass wir zwar vieles wissen (herausgefunden haben), aber eben auch sehr vieles (noch) nicht wissen. Vergessen wir dies, gleitet unsere Geschichte leicht ins fiktionale ab und verlässt damit den Bereich der Wissenschaft, auf dem sie doch gebaut sein soll. Wie wichtig diese Feinheiten sind, habe ich zu Anfang (2018) noch nicht gut verstanden, sondern erst durch intensive Auseinandersetzung, quasi wissenschaftliche Betrachtung.
Big History beginnt mit einer Art Zeitstrahl, aber es hört damit nicht auf.
David Christian erzählt Big History als eine Geschichte zunehmender Komplexität vom relativ einfachen und fast homogenen Kosmos kurz nach dem Urknall bis hin zur hochkomplexen, globalen Welt, in der wir heute leben, in seinem ins Deutsche übersetzten Buch von 2018. Ein erster Schritt, um sich eine Vorstellung von Big History zu machen. Es sollte idealerweise nicht der letzte sein, denn Wissenschaft bedeutet ja, sich immer wieder zu fragen, ist das eine gute Darstellung der Wirklichkeit, oder gibt es andere, bessere Erklärungen und Modelle.
Nun haben wir ja schon von Armando Viso erfahren, dass es mehrere Big History Geschichten geben kann. David Christian glaubte zunächst, dass es die Wissenschaft sei, welche die Big History Geschichte erzählt, aber bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass es nicht die Wissenschaft ist, sondern der jeweilige Big History Forscher, der entscheidet, was er oder sie in die Geschichte aufnimmt und was nicht.
Dennoch basiert Big History auf dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft, aufgrund der notwendigen Auswahl jedoch ist es stark vereinfacht.
* Anstelle von 'den Ereignissen zugrunde liegende Muster' kann man auch sagen, sie versuchen das zu ergründen, was die vielfältigen Erscheinungen gemeinsam haben. Das Allgemeine im Besonderen zu finden, so dass die Vielfalt der uns umgebenden Welt auf eine Weise reduziert wird, die es uns ermöglicht, besser damit umzugehen, uns nicht in der Flut der Unterschiede zu verlieren. Was aber eben nicht bedeutet, dass damit alle Aspekte des Besonderen schon erklärt werden.