Was kann Big History in der Schulbildung bewirken?


Wenn Schule über das Lernen für die Abschlussprüfung hinaus etwas bewirken soll, dann muss sie im Ganzen Sinn ergeben. Dann sollte es möglich sein, einen Bezug zwischen dem, was in der Schule erwartet wird, und dem Leben außerhalb der Schule 
herzustellen. Zu meiner Schulzeit hieß das: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Der Gedanke ist also nicht neu, nur muss jede Zeit hier neu denken.



Zunächst einmal sind die Fächer in Bereiche zusammengefasst.
Kernfächer: Mathe, Deutsch (Muttersprache), 1. Fremdsprache (Englisch)
Naturwissenschaftlich-technischer Bereich: Biologie, Physik, Chemie, Astronomie
Gesellschaftswissenschaftlicher Bereich: Geschichte, Geografie, Sozialkunde, Wirtschaft und Recht, Ethik/Religionslehre
Musisch-künstlerischer Bereich: Kunst, Musik, Sport
Eine beeindruckende Bandbreite und Anzahl an Fächern sind da zu bewältigen.

Der Bildungsauftrag lautet aber auch fächerübergreifend und mindestens in Teilen auch bilingual (zweisprachig) zu unterrichten.

Zusammenhänge

Für mich stellt sich die Frage, wie wird den Schülern vermittelt, dass die Fächer innerhalb der Bereiche in einem Zusammenhang stehen, und wie wird der Zusammenhang und die Wechselwirkungen zwischen den Bereichen Natur und Gesellschaft vermittelt?

Die heutigen Probleme globaler Natur wie Klimawandel, saubere Ozeane, Wasserversorgung, erneuerbare Energien, Ozonschicht (und aktuell auch eine Virus-Pandemie) sind nämlich keine, die sich nur innerhalb des Bereiches Naturwissenschaften lösen lassen könnten. Sie betreffen die Gesellschaften überall auf der Welt. Sie können aber auch in den Gesellschaftswissenschaften nicht losgelöst von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften betrachtet werden. Diese Wechselwirkungen sollten explizit angesprochen (und natürlich auch angegangen) werden. Das aber heißt über die Fächergrenzen hinauszugehen. Big History macht das sichtbar und fördert das dafür notwendige interdisziplinäre Denken und Zusammenarbeiten. (Mehr dazu unter Big History Project und Big History School)

Schließlich möchten die Schüler nicht nur eine überwältigende Fülle an Fächern abarbeiten, sondern auch erkennen, was die verschiedenen Wissens-Bereiche miteinander verbindet, einen roten Faden sozusagen. Für mich ist Big History der rote Faden, die Struktur, die einen so beeindruckend detaillierten Lehrplan zusammenhalten könnte. Ein Fach, indem alle anderen zusammen kommen, angefangen von der Arbeit an und mit Texten im Sprachunterricht (Mutter- und Fremdsprache) über die Anwendung von Mathematik, der Notwendigkeit sich (bis zu einem gewissen Grad) detailliert mit Biologie, Chemie, Physik und Astronomie zu befassen, hin zu Geschichte und Sozialkunde, Wirtschaft und Recht. Letztere beruhen schließlich auf einem bestimmten Weltbild und sind in der  Wechselwirkung des Menschen mit der Natur entstanden. Am Ende kann man schließlich den Bogen zu Ethik, Musik und Kunst spannen. Big History verbindet alle diese Fächer in einem einzigen großen Zusammenhang, es bietet eine Art Rahmen, in dem alle Schüler und alle Fächer zusammenkommen. Was der Spezialisierung, die ab Klasse 9 mit dem Wahlpflichtbereich beginnt und sich in Klasse 11 + 12 noch mal vertieft, etwas Sinnvolles und Verbindendes entgegensetzt.

Bildlich ausgedrückt, geht es darum, das allgegenwärtig beklagte Schubladen-Denken aufzubrechen (bzw. erst gar nicht in Reinform aufkommen zu lassen), ohne dabei die Schubladen zu zerstören.

Man kann das, wie David Christian, eine moderne Ursprungsgeschichte nennen (und in Ethik diskutieren). Aus meiner Sicht treffender ist aber, wie Fred Spier es formuliert: „Big History bietet ein grundlegend neues Verständnis der Vergangenheit der Menschheit, das es uns erlaubt, uns auf eine Weise in Zeit und Raum zu orientieren, wie es keine andere Art der akademischen Geschichte bislang getan hat. Zudem hilft uns der Big History Ansatz einen neuen theoretischen Rahmen zu schaffen, in den im Prinzip alles wissenschaftliche Wissen integriert werden kann.“ (Spier, Big History and The Future of Humanity, 2nd edition 2015, Seite 1; eigene Übersetzung)


Lebenslanges Lernen

Wenn sich die jungen Menschen dann auf der Basis dieser umfassenden Bildung für einen Beruf und damit in den meisten Fällen, einen winzigen Teilbereich dessen entscheiden, was die menschliche Gesellschaft ausmacht, werden sie durch Big History hoffentlich leichter die Verbindung zum großen Ganzen bewahren können, wenn sie ganz praktisch gelernt haben, dass es fächerübergreifendes Denken und Zusammenarbeiten braucht, um eine hoch-komplexe Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Wenn sie in der Schule Kompetenzen erworben haben, also Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie auch in anderen Lebenssituationen anwenden können.
Big History als der rote Faden, der einen Blick auf die Highlights unserer Entwicklung vom Urknall bis heute wirft, ist vielleicht nicht so schnell vergessen, wie die vielen Details der einzelnen Fächer. Er bietet (auch im Erwachsenenleben) einen Rahmen für lebenslanges Lernen. Man kann hinein zoomen, wenn man mehr über die Details wissen will, und wieder heraus zoomen, um das Gelernte im Kontext zu betrachten.

Ausblick

Hier habe ich Big History eingefügt in die tabellarische Übersicht der Schulfächer in Thüringen - Grundschule und Gymnasium.

 


Aus meiner Sicht hat Big History das Potenzial Lehrern zu helfen, über ihr eigenes Fach hinauszuwachsen, und ihr Fach im Kontext der anderen Fächer zu sehen. Denn Schüler erleben Lehrer oft so, dass diese nur ihr eigenes Fach sehen und für wichtig halten, während sie selbst mit einer ganzen Palette an Fächern konfrontiert sind. (Was ziemlich frustrierend sein kann, wenn Lehrer auf dieser Grundlage den Umfang an Hausaufgaben bemessen und schlicht vergessen, dass es auch noch andere Fächer mit Hausaufgaben für den Schüler gibt.)

Einen weiteren Vorteil sehe ich darin, dass mit Big History als Rahmen der einzelne Lehrer auch wieder zum Schüler wird, besser gesagt zum Lerner, und zwar zu einem, der die Schüler zum lernen anleitet, auch über sein eigenes Fach hinaus. Fächerübergreifendes Arbeiten wird auf diese Weise praktisch vorgeführt und nicht nur theoretisch beschworen.

Wenn Schule auf diese Weise zum Lernen anleitet, dann kann Schule tatsächlich über das Lernen für die Abschlussprüfung hinaus etwas bewirken und mündige, informierte und reflektierte Bürger hervorbringen, die sich auch weiterhin aktiv um ihre Bildung bemühen. Schüler würden zu Menschen, die in der Lage sind, sich selbst zu bilden.



Auf den folgenden Seiten beschreibe ich nun, wie das derzeit in der Praxis aussieht anhand von

Big History Project: 

Big History School:

und am Beispiel von Italien: