Kritik und Widersprüche


Ein wichtiger Punkt, wie sich für mich inzwischen (2025) herausgestellt hat. Siehe dazu auch Big History weltweit

In seinem Buch „A History of Big History“ unterzieht Ian Hesketh die in den Ansätzen von Fred Spier und David Christian formulierten Ansprüche einer kritischen Betrachtung und kommt zu dem Ergebnis, dass Big History eine aktuelle Version dessen ist, was schon zuvor versucht wurde, nämlich eine Art moderne Universalgeschichte zu schreiben. Hesketh sieht Big History als Teil eines allgemeinen zeitgenössischen Trends, die Geschichte der Menschheit in einen größeren, vom wissenschaftlichen Fortschritt geprägten zeitlichen Rahmen zu stellen. Man erkennt an, dass die Geschichte der Menschheit im Rahmen biologischer und geologischer Zeitskalen und Theorien verstanden werden muss. Was Big History von anderen Formen der sogenannten „Deep History“ einerseits oder der Umweltgeschichte andererseits unterscheidet, ist das Streben nach Universalität als Grundlage, versinnbildlicht durch David Christians Slogan: Big History bietet eine Ursprungsgeschichte, die sowohl von jedem Menschen handelt als auch für jeden Menschen gedacht ist. „Big History is an origin story that is both about everyone and for everyone.“ In dieser Hinsicht ähnelt es wiederum anderen populärwissenschaftlichen Studien der Geschichte des Menschen als Spezies.

Die Big History Ansätze von David Christian und Fred Spier haben also den Anspruch ein einziges universelles Geschichtsnarrativ zu schaffen, das die wichtigsten Fakten enthält, die für die Geschichte der Menschheit relevant sind. Diese zusammengefassten Fakten sind nach den Erkenntnissen der zeitgenössischen Wissenschaft geordnet, und zwar nicht als eine Reihe unzusammenhängender Theorien und Gesetze, sondern als integrierte Wissensparadigmen, zusammengehalten durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und die universelle Evolution.


Die Behauptung, dass Wissenschaft auf diese Weise integriert werden kann, stützt sich weitestgehend auf E.O. Wilsons Konzept der „consilience“, der davon ausgeht, dass es eine zugrundeliegende universelle Wirklichkeit gibt, welche die verschiedenen Wissenschaften verbindet und durch synthetische Naturgesetze dargestellt werden kann. Daraus ergibt sich für Big History die Aufgabe, diese wenigen vereinheitlichenden Gesetze als Grundlage für die Big History Erzählung zu nutzen. Fred Spier formuliert diesen Anspruch mit den Worten: eine historische Theorie von Allem zu formulieren, m E. in Analogie zu dem was in der Physik „theory of everything“ genannt wird, sich aber nur auf die Physik bezieht, wozu man im Deutschen oft einfach Weltformel sagt. Also eine Art Weltformel der Geschichte. Oder, wie der deutsche Titel von Fred Spiers ersten Buch andeutet: „Was die Geschichte im Innersten zusammenhält“, Englisch: The Structure of Big History.


An dieser Stelle ist es wichtig im Blick zu behalten, dass dies für einige Formen von Big History gilt. Die Wahrnehmung von Big History außerhalb des Fachgebietes ist jedoch maßgeblich geprägt durch die Ansätze und Bücher von David Christian und Fred Spier sowie Eric Chaisson, auf dessen Arbeit Spier aufbaut.


Ebenso wichtig ist es zu bedenken, dass Big History aus der Frustration heraus entstand, die mit einer zunehmenden Spezialisierung (in den Wissenschaften im allgemeinen und in der Geschichtswissenschaft im besonderen) einherging, wobei man leicht das Ganze aus dem Blick verliert. David Christians Ansatz beruht also auf seinem Erleben als Universitätsdozent mit seinen Studenten. Big History sollte ein Studium der Vergangenheit von Anfang an sein und die Vergangenheit als Ganzes untersuchen, um so einen absoluten Rahmen für die Erforschung der Vergangenheit (History) zu liefern. Sein Buch „Maps of Time“ ist ein Beispiel für eine solche Geschichte.


Heskeths Buch ist sehr lesenswert, leider nicht auf Deutsch erschienen, er vergleicht Big History mit anderen Universalgeschichten, auch religiösen, früherer Zeiten und kommt zu dem Ergebnis, dass es sehr in der christlichen Tradition verwurzelt ist, schon was den Aufbau der Geschichte als Abfolge von Zeitaltern angeht. Immer wieder auch kamen die Verfasser auf den Gedanken, anzunehmen, dass Geschichte einen klaren Aufbau und ein Ziel hatte, welches nur entdeckt werden kann, wenn man es als Ganzes betrachtet. Ebenfalls findet man den Gedanken wieder, dass die (jeweilige) Gegenwart das Zeitalter ist, indem es nun möglich geworden sei, die Geschichte der Menschheit aus ganzheitlicher und wissenschaftlicher Perspektive zu verstehen, weil man nun Fakten hat, die früheren Generationen nicht zur Verfügung standen. Und natürlich geht es immer auch darum, aus dieser Erzählung oder Theorie ableiten zu können, was im Hinblick auf die Zukunft getan werden muss.


Hesketh konzentriert sich auf Universalgeschichten von Verfassern, die in Fred Spiers Buch „Big History and the Future of Humanity“ bis auf einen keine Erwähnung finden. Er lässt dagegen diejenigen umfassenden Darstellungen aus, die von Wissenschaftlern geschrieben wurden, und auf die sich Fred Spier bezieht und in deren Tradition er Big History sieht.


Wesentliche Kritikpunkte von Hesketh sind, dass Big History deterministisch angelegt ist, wie diese anderen Formen universeller Geschichtsschreibung, und dennoch seinen Lesern am Ende Handlungsmacht zuschreibt, als „Stewards of the Planet“, z.B. Dass sich BH auf dasselbe Geschichtsverständnis stützt, das auch frühere Geschichtsschreibungen motiviert hat und sich derselben mythopoetisch-wissenschaftlichen Rhetorik bedient, um seine Wahrheitsansprüche zu rechtfertigen. Und dass es die Notwendigkeit (mit der sich alles ereignete) auf Kosten der Zufälligkeit/Kontingenz (es hätte auch anders kommen können) privilegiert, oftmals zum Nachteil der Hauptaussage von Big History.


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