Wie beschreiben und definieren Big History Praktiker, was Big History ist und was sie tun, wenn sie Big History schreiben/betreiben.
David Christian:
Für David Christian ist das Ziel der Big History, wie das Ziel allen guten Wissens, uns zu helfen, die Welt, in der wir leben, zu verstehen. Er sieht in Big History eine Geschichte, die universell ist, kollaborativ und kollektiv, eine Ursprungsgeschichte für das Anthropozän. (What is Big History? Journal of Big History Volume 1 Number 1, 2018)
In seinem auf Maps of Time basierenden Videokurs für "The Great Courses" beschreibt er dem Umfang (scope) folgendermaßen:
Das in diesem Kurs verwendete übergreifende Konzept ist die Idee der zunehmenden Komplexität ... Acht wichtige Schwellen (thresholds) zunehmender Komplexität bilden den grundlegenden Rahmen (framework) für diesen Kurs.
Big History betrachtet die Vergangenheit auf allen möglichen Skalen (scales), von der konventionellen Geschichte über die viel größeren Skalen der Biologie und Geologie bis hin zu den Skalen der Kosmologie. Sie webt daraus eine einzige Geschichte, die sich von den Anfängen des Universums bis in die Gegenwart und darüber hinaus erstreckt, wobei sie sich auf Darstellungen der Vergangenheit stützt, die in wissenschaftlichen Disziplinen entwickelt wurden, die normalerweise getrennt voneinander erforscht werden. Die Geschichte der Menschheit wird als Teil der Geschichte unserer Erde und unserer Biosphäre betrachtet, und die Geschichte der Erde wiederum wird als Teil der Geschichte des Universums gesehen. Auf diese Weise können sich die verschiedenen Disziplinen, aus denen sich diese große Geschichte zusammensetzt, gegenseitig bereichern.
Diese Geschichte zu erzählen, ist die gewaltige Herausforderung, der sich "Big History" stellt. Allerdings verfügen wir heute über so viel Wissen, dass kein Einzelner mehr Experte für alle Bereiche sein kann. Die gleiche Geschichte kann auch von Astronomen und Geologen mit jeweils anderen Schwerpunkten erzählt werden. Im Mittelpunkt dieser Darstellung steht jedoch eine zentrale Erzählung, die es uns ermöglicht, die zugrunde liegende Einheit des modernen Wissens zu erkennen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass es für David Christian in erster Linie darum ging eine moderne Ursprungsgeschichte zu erzählen, eine Geschichte über alle Menschen und für alle Menschen (also eine Universalgeschichte), dessen zentrales Element die 8 Schwellen zunehmender Komplexität sind. Selbst wenn sich Details innerhalb dieser "storyline" ändern sollten, so bliebe doch die "storyline" selbst gleich.
Fred Spier:
Für Fred Spier ist Big History: Der Ansatz, die Geschichte der Menschheit in den Kontext der Kosmischen Geschichte zu stellen, vom Beginn des Universums bis zum heutigen Leben auf der Erde. Er findet, dass der Big-History-Ansatz uns hilft, einen neuen theoretischen Rahmen zu schaffen, in den im Prinzip alle wissenschaftlichen Erkenntnisse integriert werden können. (Big History and the Future of Humanity/Big History und die Zukunft der Menschheit, 2. Auflage 2015)
Big History als Ganzes lässt sich durch das Zusammenspiel von Prozessen der Entstehung, Zunahme, Abnahme und des Verschwindens von Komplexität charakterisieren – zum Beispiel: biologische Vereinfachung der Biosphäre in den letzten 12.000 Jahren durch menschliches Handeln (Thresholds of Increasing Complexity in Big History: A Critical Review, Journal of Big History Volume 5, Number 1, 2022). In diesem Artikel unternimmt er einen kritischen Blick auf die Schwellen zunehmender Komplexität.
In seinem Buch von 2015 Big History and the Future of Humanity stellt er eine historische Theorie von Allem vor, die durch seine Bemühungen, Big History Kurse an der Universität von Amsterdam entstanden ist.
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass Fred Spier Big History vor allem als einen theoretischen Rahmen für alle wissenschaftlichen Erkenntnisse sieht, mit dem Ziel eine historische Theorie von Allem hervorzubringen. Er ist sich bewusst, dass Komplexität nicht immer nur zunimmt, sondern zuweilen auch abnimmt oder verschwindet.
Esther Quaedackers:
Für Esther Quaedackers, eine Kollegin von Fred Spier, ist ‚Big History‘ ein relativ junges akademisches Fachgebiet, das einen integrierten Überblick über die gesamte bekannte Geschichte vom Urknall bis heute erstellt. Dabei verbindet sie kosmische, geologische, biologische und kulturelle Geschichte, um ein neues Verständnis all dieser Geschichtsarten zu erlangen. (A little big history of Tiananmen. An example of a new type of long-term history / Eine kleine große Geschichte des Tiananmen - Beispiel für eine neue Art der Langzeitgeschichte)
Olga García Moreno:
In der Beschreibung ihres Big History Podcasts "El amanecer terrestre" bezeichnet sie Big History als einen Wissensansatz, der sich für akademische Forschung aus einer möglichst breiten Perspektive interessiert, mit dem Ziel, die komplexen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme des 21. Jahrhunderts effektiver anzugehen und zu bewältigen.
Für Olga braucht es auch nicht zwingend eine Timeline um Big History zu betreiben, wie sie in ihren Big History Kursen an der Universität Oviedo (Spanien) im Laufe der Zeit herausgefunden hat. Ein Beispiel dafür, wie Olga García Moreno und ihr Kollege Armando Menéndez Viso Big History verstehen ist La gran historia del agua / Die große Geschichte des Wassers, die sie auf Spanish veröffentlicht haben.
Insgesamt wird deutlich, dass es Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt in der Art und Weise, wie all diese Big History Praktiker über das Thema reden. Das hat den Vorteil, dass es nach vielen Seiten hin anschlussfähig ist, und viele Leute sich davon angesprochen fühlen. Es hat aber eben auch den Nachteil, dass es keinen wirklichen Diskurs und somit auch keinen Konsens darüber gibt, was genau nun mit "Big History" gemeint ist. Dennoch wird innerhalb der Gemeinschaft auf eine Art und Weise über Big History geredet, als wäre stets allen klar, was genau gemeint ist. Mich hat das zugegebenermaßen sehr verwirrt und letztlich auch dazu geführt, dass ich für mich Big History wahrscheinlich anders definiere als es in diesen akademischen Kreisen verstanden wird.